Ludwig Wüst
Leaving Home – Coming Home
Bernd Brehmer
Ludwig Wüst, exilbayrischer Wiener Theaterregisseur und Filmschaffende, galt lange Zeit als Geheimtipp. Doch mit weit über vierzig Theater- und Opernaufführungen und unzähligen (Untergrund-)Filmen hat er inzwischen ein eigentliches Wüstsche’s Universum geschaffen, das sich einer stetig wachsenden Anhängerschaft erfreut. Immer wieder treibt ihn in seinen filmischen Arbeiten die Frage um, wie sich der Begriff «Heimat» in der eigenen Biografie verorten lässt. Und er überzeugt dabei mit seinem untrüglichen Gespür für aus dem Leben gegriffene Dialoge, einer feinen Ahnung für Verdrängtes und mit der Fähigkeit, das Spirituelle hinter den materiellen Oberflächen zu beschwören. Bildrausch präsentiert in Kooperation mit dem Neuen Kino Basel Ludwig Wüst‘s Leaving Home/ Coming Home-Trilogie, (Das Haus meines Vaters (2013), Aufbruch (2018) und 3.30PM (2020)). In einer Holz-Lecture gewährt der Regisseur und gelernte Tischler zudem einen seltenen Einblick in seine (Film-)Werkstatt.
Endlich meldet sich nun auch in der Schweiz diese einzigartige Stimme des unabhängigen österreichischen Films zu Wort: Ludwig Wüst, 1965 in der Oberpfalz (Bayern) geboren, geht 22 Jahre später nach Wien, um dort Schauspiel und Gesang an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst zu studieren. Ab 1990 ist er als Regisseur, Autor und Schauspieler an über vierzig Produktionen für Theater und Oper in Wien, Leipzig, Berlin, München und Frankfurt am Main beteiligt, was neun Jahre später konsequenterweise dazu führt, dass er, Autodidakt und beeinflusst von der DOGMA’95-Bewegung, seinen ersten eigenen Film realisiert.
> mehr
Nochmal zehn Jahre später erfährt er erstmals internationale Aufmerksamkeit mit seinem Langfilm-Debüt Koma (2009), in dem bereits das Wüst’sche Universum angelegt ist und die Themen, die ihn nicht mehr loslassen werden. Nebenbei absolviert er eine Ausbildung zum Tischlerhandwerk, das er vier bis sechs Monate im Jahr immer noch praktiziert. Bei Bildrausch gewährt er daher folgerichtig auch mit einer Holz-Lecture Einblick in seine (Film-)Werkstatt, die am Freitag, 18.6. um 16.30 Uhr im Neuen Kino stattfinden wird.
Wie selbstverständlich fliessen bei Ludwig Wüst – diesem veritablen «Austrian Maverick» – Kunst, Film und Leben untrennbar zusammen und bilden nach offiziell bislang fünf Kurz- und sieben Langfilmen (da mag das eine oder andere Nebenprodukt noch zum Vorschein kommen) einen Kosmos, der sich als nicht abschliessbares work in progress permanent selbst immer weiter erzählt. Wie dies auch beim grossen Fotografen Robert Frank, neben Pier Paolo Pasolini, Artavazd Pelechian und Marguerite Duras ein essenzieller und existenzieller Seelenverwandter Wüsts, evident ist. Und der gleichfalls seinen und unseren Blick auf das Ephemere im Alltag lenkt und Figuren zeigt, die, fast unbemerkt, versuchen, am Rande einer Gesellschaft zu (über-)leben, die ihnen nur wenig Raum bieten kann. Robert Frank ist auch das Motto der hier präsentierten Film-Trilogie «Leaving Home/Coming Home» entlehnt.
«Weggehen, um anzukommen» könnte programmatisch über den drei Filmen Das Haus meines Vaters (2013), Aufbruch (2018) und 3.30PM (2020) stehen: Zum einen ist damit die ganz konkrete, autobiografisch unterfütterte, Heimkehr in das elterliche Haus gemeint, aber auch die transzendente «Reise zu den letzten Dingen» (Wüst). Er legt das alles ganz ohne esoterischen Schnickschnack als Roadmovie an, bei dem die Reisenden verändert zu sich selbst (zurück)finden – bis hin zum (vorerst) finalen Trip, der verschüttete Traumata wieder aufreisst und eine Möglichkeit andenkt, diese endlich zu bewältigen. Im Prinzip geht es ihm immer darum, wie sich der Begriff «Heimat» in der eigenen Biografie verankern lässt. Trotz all des angestauten emotionalen Ballasts gelingt es Wüst stets, dass seine minimalistischen Erzählungen, gefilmten Haikus gleich, wie mit leichtem Pinsel hingehauchte Tuschezeichnungen wirken.
Der Regisseur sagt: «Technologischer Fortschritt hat noch nie auf die Menschheit Rücksicht genommen, deswegen möchte ich Filme machen, die von sinnlich erfahrbaren Dingen erzählen, Dingen, die man eigentlich schon längst vergessen hat.» (bb)
> weniger